Den Schwurbler lieben lernen
Gegen rechte Streitereien, ein Handbuch für den Umgang mit den eigenen Idioten
Wie viele andere in meinem Alter auch, habe ich mich, bevor ich politisch aktiv wurde, für Atheismus interessiert. Ich habe (ironischerweise) nahezu religiös Sam Harris Podcast „Waking Up“ gelauscht, habe regelmäßig Dawkins Buch „the god delusion“ studiert, um mich dann mit Fremden im Internet aus Ländern, die ich noch heute nicht auf einer Weltkarte finden könnte, über die Existenz oder nicht-Existenz Gottes zu streiten, als ob ihr Glaube eine existenzielle Bedrohung für mein Dasein als „Ungläubiger“ wäre.
Ich denke, viele, die über ähnliche Umwege in die Politik gefunden haben, werden sich noch an die Argumente, die zu dieser Zeit besonders häufig geäußert wurden, erinnern.
„Religion ist verantwortlich für so viel Schlechtes in der Welt, was ist mit den Kreuzzügen, was ist mit dem islamischen Staat, was ist mit der Westboro Baptist Church, den Hexenverbrennungen oder Scientology?“
Interessant ist dies, im Nachhinein, weil natürlich keine der Personen, mit denen ich damals diskutiert hatte, selber Anhänger des islamischen Staates war, an den Kreuzzügen teilgenommen hatte, Hexen verbrennen wollte usw.
Eben, weil die meisten religiösen Menschen, heute, wie in der Geschichte, keine Hexen verbrannt haben…
Und trotzdem war dies häufig der Fokus der Diskussion. Nicht die reale Situation gläubiger Menschen, sondern diese fiktive Version von Religion, dieser Strohmann. Nun ja, Strohmann ist nicht einmal wirklich der richtige Begriff. Ein Strohmann Argument ist, wenn man eine Position angreift, die der Gesprächspartner gar nicht vertritt.
Aber es gab historisch natürlich Hexenverbrennungen, es gibt Anhänger des islamischen Staates, und von Scientology. Ein solches Argument ist, was Scott Alexander einen „Schwachmann“ nennt. Es ist ein Argument, dass einzelne Mitglieder einer Gruppe vertreten, aber nur eine kleine Minderheit, und das leichter angreifbar ist, als die eigentliche Position der Gruppe.
Ich hätte die Bibel lesen können, ich hätte versuchen können, mich mit religiösen Menschen anzufreunden, um herauszufinden, wie ihr offline Leben aussieht, um dann meine Kritik auf ihrer wirklichen Lebensrealität aufzubauen, anstatt militante Ziegenficker in Syrien oder Menschen, die vor vielen Hundert Jahren gelebt haben, anzugreifen.
Aber natürlich wollte ich das nicht. Ich wollte das Argument gewinnen, und es ist leicht, einen Schwachmann zu zerstören. Es stimmt, dass der Schwachmann nicht die eigentliche Position meines Gegenübers, oder eines neutralen Zuschauers, repräsentiert, aber so funktionieren Menschen psychologisch nicht. Wenn ich es schaffe, dass du Religion mit Hexenverbrennungen, anstatt mit dem Dalai Lama und Jesus, assoziierst, habe ich bereits gewonnen.
Auch in politischen Diskussionen finden sich solche Schwachmänner. Man selber versucht, sachlich über Themen wie Migration zu reden, nur um dann vom Gegenüber zu hören zu bekommen, wie schlimm doch Rassismus in den USA sei, und dass die Nazis böse waren.
Natürlich ist man kein Nazi, nur weil man z.B. Einwanderung begrenzen möchte. Aber die Taktik funktioniert dennoch. Entweder, man muss nun eine deutlich schwierigere Position verteidigen, oder es folgt der berühmte „Ich bin kein Rassist, aber… “ Monolog.
Sie haben Probleme mit der Impfung? Sie denken, dass es problematisch ist, wie Grundrechte wie die körperliche Selbstbestimmung verletzt werden, oder Sie denken, dass man berechtige Kritik an der Wirksamkeit der Impfung üben kann?
„Natürlich funktionieren Impfungen, du Verschwörungstheoretiker. Und sie lösen auch keinen Autismus aus.“
Und seien Sie ehrlich, kritisieren Sie nach sorgfältigem Lesen die Texte von Judith Butler, und lehnen deswegen „woke“ Ideen ab, oder machen Sie sich auf Twitter über dicke Frauen mit blauen Haaren lustig?
Eine Gruppe wird immer nach ihren schlechtesten, bösesten, hässlichsten und dümmsten Mitgliedern beurteilt. Sie können noch so viele intelligente Bücher schreiben, auf Eugyppius verweisen und langsame, sachliche Gespräche mit ideologischen Gegnern führen, am Ende richtet jeder Clip eines Boomers auf irgendeiner Demo, der etwas sagt, das ein Boomer eben sagen würde, hundertmal mehr Schaden an, als sie Gutes tun können.
Es ist also wichtig, darauf zu achten, mit wem sich das eigene Lager wirklich assoziieren möchte. Generell ist es, auch wenn es zunächst kontraproduktiv für aktivistische Arbeit in der Politik wirkt, besser kleiner, und dafür deutlich besser organisiert zu bleiben.
Wir fetischisieren oft große Massenbewegungen und Populismus, aber die Ideale, die der jetzige Staat verwirklicht, werden nicht von den großen Massen getragen.
Masse alleine ist unwichtig. Wichtig ist, wie organisiert die Masse ist. Sich bei Twitter zu beschweren ändert nichts. Sind die eigenen Ideale stark genug, dafür Opfer zu bringen, Produkte zu boykottieren, lokalen Politikern zu schreiben, mit Hilfe von Aktivisten Unternehmen Druck zu machen?
Gleichzeitig kann man sich leider nicht immer aussuchen, wer zum eigenen Lager gehört. Innerhalb der Partei, die eine klare Struktur besitzt, können einzelne Mitglieder rausgeschmissen werden, aber bei einer offenen Demo?
Viele versuchen sich dann als „einen, der Guten“ zu framen und versuchen sich öffentlich von solchen Gruppen abzugrenzen.
„Ja, es gibt Nazis auf diesen Demos, aber wir wollen nur eine Impfpflicht verhindern.”
Ich denke, das ist eine schlechte Strategie. Dass diese Gruppen hervorgehoben werden, sollte als das verstanden werden, was es ist, ein Angriff.
Als ich früher die Westboro Baptist Church kritisiert habe, war der Subtext natürlich nicht, dass die Westboro Baptist Church schlecht sei, sondern dass diese exemplarisch für alle Religionen stehen würde. Und genau das haben meine Gesprächspartner auch verstanden, sonst hätten sie ja nicht reagiert.
Und genau das verstehen auch Sie implizit. Sonst würden Sie sich nicht angegriffen fühlen, wenn Linke über “Nazis“ oder “Faschisten“ oder “Verschwörungstheoretiker“ reden. Sind sie denn ein Nazi, Faschist oder Verschwörungstheoretiker? Warum fühlen sie sich angesprochen?
Scott Alexander schreibt dazu:
Es bringt nichts, sich gegen andere Rechte zu positionieren. Es mag sein, dass Sie selber kein Schwurbler sind, und vielleicht glauben Sie auch nicht, dass wir technisch gesehen noch im Kaiserreich leben, und vielleicht halten auch Sie vereinzelte Kommentare von Höcke für übertrieben oder problematisch.
Aber es geht in keiner Diskussionen um Schwurbler, oder Reichsbürger oder die NPD. Es geht um Sie!
Es geht darum, eine schwächere Version ihrerer Argumente zu kritisieren, damit man sich mit ihren Argumenten gar nicht erst auseinandersetzen muss. Es geht darum, sie mit der Westboro Baptist Church zu assoziieren, weil Sie sich selber nichts zuschulden kommen lassen haben.
Jedes Mal, wenn Sie also andere Rechte öffentlich kritisieren, wenn Sie das Frame ihrer Feinde akzeptieren, da schaden Sie sich selber. „Auf der Demo waren Nazis und ich distanziere mich“ bedeutet „Ich bin ein Nazi, weil ich auf der Nazi-Demo war“.
Zwischen Rechten ist es wichtig, schwache Personen zurechtzuweisen, nur Menschen mit guten Optics Öffentlichkeitsarbeit machen zu lassen, und Menschen mit schlechten Optics aktiv von der Bewegung fernzuhalten. Wählerstimmen, um jeden Preis, ist langfristig eine sehr riskante Strategie. Schlechte, falsche und unschöne Positionen dürfen nicht toleriert werden, sondern müssen sofort angesprochen und angegriffen werden. Aber nur ZWISCHEN Rechten.
Sobald es eine öffentliche Diskussion ist, und Linke im Spiel sind, haben sie zusammen zu halten. Fragen, die das Lager selber betreffen, müssen VOR der Diskussion mit Linken geklärt werden, nicht erst währenddessen.
Hier können wir uns unsere politischen Gegner zum Vorbild nehmen. Es gibt viel Gestreite zwischen Linken, viele Diskussionen darüber, wie der ideale Staat organisiert werden sollte. Aber sobald man sich im Konflikt mit Rechten befindet, weiß man, wer der Verbündete ist. Chomsky mag hauptberuflich das amerikanische Establishment kritisieren, ähnlich wie es auch Alex Jones tut, aber sobald es zum Konflikt kommt, ist er auf der Seite der New York Times und Joe Biden, nicht der von Jones.
tl;dr:
kleine, organisierte Gruppen sind besser als kopflose Massen
man sollte sich nicht mit jedem assoziieren, sondern sehr selektiv sein, und auf Qualität über Quantität bei potentiell Verbündeten achten
Rechte dürfen andere Rechte nie öffentlich, oder vor Linken kritisieren. Dieser Schritt muss schon im Vorfeld stattgefunden haben
Jetzt bleibt aber immer noch offen wie man konkret mit einem solchen verbalen Angriff umgehen soll.
Ich denke nach Angriffen dieser Art muss man zum Gegenangriff übergehen.
Anstatt sich zu distanzieren oder mit einer auf Tatsachen basierenden Argumentation fortzufahren muss man den vom Gegner aufgestellten Frame offenlegen. Man hält also dem moralischen Vorwurf, man sei so verkommen wie Gruppe X, einen ebenfalls moralischen Vorwurf entgegen.
In öffentlichen Diskussionen spielen Daten ohnehin nur eine untergeordnete Rolle und Dienen meist dazu den Zuhörern Autorität zu vermitteln. (Außer der Sachverhalt ist dermaßen offensichtlich, dass ihn jeder ohne Vorwissen versteht)