Der Titel dieses Aufsatzes mag auf den ersten Blick hin übermäßig polemisch wirken, aber die Aussage selber wird, so ist mein Eindruck, in allen politischen Lagern häufig vertreten. Viele der Probleme dieses Landes scheinen offensichtlich, und teilweise sogar „leicht“ lösbar. Und dies sogar unabhängig von ideologisch vorbelasteten Fragen. Wieso also passiert nichts? Wieso bleiben diese Probleme ungelöst?
Kapitel 1: ideologisch vorbelastete Fragen
Wie man die Ökonomie eines Staates richtig strukturiert, wie viel der Staat in den Markt eingreifen sollte, und aus welchen Gründen, ob ein Mindestlohn eingeführt werden sollte, oder nicht, zu all diesen Fragen gibt es so viele Antworten, wie es Ökonomen gibt.
Und was sie alle verbindet, ist die Idee, dass die eigene Meinung rein rational und „logisch“ sei. Für Keynesianer scheint keynesianische Wirtschaftspolitik offensichtlich zu sein, und sie beschweren sich darüber, dass die Wirtschaft nicht ausreichen nach ihren Idealen organisiert ist. Selbiges gilt genauso für Anhänger der österreichischen Schule, nur eben mit österreichischen Idealen.
Und natürlich kann man dieses Spiel mit den meisten Fragen der Politik durchspielen. Für AfD Wähler scheint offensichtlich, wie man mit kriminellen Ausländern verfahren sollte, aber würde ein Grünenwähler diese Ideen auch als „logisch“ bezeichnen? Wie bewerten diese umgekehrt die „offensichtliche“ Lösung, die erneuerbaren Energien auszubauen, um den Klimawandel aufzuhalten? Wieso gibt es hier keinen Konsens, wenn die Idee doch nur „logisch“ ist?
Was „offensichtlich richtig“ ist, hängt vom eigenen Weltbild und den eigenen Idealen ab.
Gut, werden Sie jetzt einwenden. Sonderlich fair ist diese Kritik nicht. Es gibt viele Probleme, die von allen politischen Strömungen als Problem erkannt werden, und dies auch frühzeitig, und die trotzdem nicht gelöst, oder zumindest als Problem erkannt, wurden. Was ist denn mit denen?
Kapitel 2: Das Rentenproblem
Ein Beispiel für ein solches Problem, das von allen Seiten anerkannt wird, und das auch schon seit langem, sind die Geburtenraten in Deutschland und der westlichen Welt im Allgemeinen seit der Einführung der Pille.
Unser Rentensystem ist, aufgrund des Zweiten Weltkrieges, der ein kapitalgedecktes Rentensystem unmöglich gemacht hat, umlagefinanziert. Das bedeutet, dass die Rente der Menschen, die jetzt alt sind, von den Menschen bezahlt wird, die jetzt jung sind, anstatt dass diese für ihre eigene Rente in der Zukunft sparen. Die Rente der Menschen, die jetzt jung sind, wird dann eines Tages von der Generation ihrer eigenen Enkel bezahlt usw.
In einer Situation mit stabilen oder steigenden Geburtenraten ist ein solches System nicht von einem kapitalgedeckten Rentensystem zu unterscheiden. Steigen die Geburtenraten, ist es sogar „besser“ für die Rentner.
Würde sich jede Generation verdoppeln (eine Fertilitätsrate von 4.0), würde jeder Beitragszahler selber mit einer weiteren Person die Rente eines alten Menschen bezahlen müssen, und dann, im eigenen Alter, von zwei jungen Menschen finanziert werden.
In einem kapitalgedeckten Rentensystem hingegen würde jeder Beitragszahler die Rente einer Person zahlen, und auch nur von einer Person die Rente bezahlt bekommen. Die effektiven Kosten für ein umlagenfinanziertes System sind also geringer, bei besseren Leistungen.
Leider leben wir aber nicht in Afrika oder dem 20. Jahrhundert, sondern im heutigen Deutschland. Und bei uns ist die Fertilitätsrate aktuell ca. bei 1.54.
Das bedeutet, wenn wir wieder vereinfacht annehmen, dass die Rente von der Folgegeneration bezahlt wird (würde man das Modell so anpassen, dass die Enkel für ihre Großeltern zahlen, muss die Fertilitätsrate natürlich sogar noch quadriert werden!), bezahlen Sie für 1.54 Rentner, und werden, sollten Sie einmal Rente erhalten, von 0.64 jüngeren Menschen finanziert.
Das führt aktuell bei uns dazu, dass wir, laut BMAS, insgesamt ca. 352 Milliarden Euro pro Jahr für das Rentensystem ausgeben. Dies macht etwa 26% des Bundeshaushalts aus. Laut FAZ würde dieser Anteil, ohne Reform, bis 2040 sogar auf fast 50%! ansteigen.
Und die eigentlichen Kosten der Überalterung sind noch deutlich größer, schließlich fällt auch der Großteil der Kosten für das Gesundheitssystem in den letzten Lebensjahren an.
Schon jetzt ist das Standardrentenniveau in Deutschland bei 50.5%. In Portugal hingegen bekommen Rentner 95%, in Ungarn 89.6%, in Österreich 91.8%. Wir können uns also schon jetzt das Rentensystem kaum leisten, und die Rentner leiden trotzdem. Und die Entwicklung ist nicht linear. Der Pillenknick steht uns noch bevor!
Ein Schelm, wer es wagt, den umgekehrten Trichter zu kritisieren…
Anders als viele der aktuell diskutierten Probleme (Covid, Ukraine, BLM, current thing[4], …) kam diese Entwicklung aber nicht überraschend. Mehr noch, sie war nahezu offensichtlich.
Man mag über den besten Lösungsansatz für das Demographieproblem streiten. Sollte man wie Ungarn die Geburtenraten ankurbeln? Sollte man wie Chile auf ein kapitalgedecktes Rentensystem umsteigen? Jede Lösung hat ihre Vor- und Nachteile, aber die Politiker hatten ja auch mehr als genug Zeit, sich auf eine Lösung zu einigen. Warum sind wir also jetzt in dieser Situation?
Kapitel 3: Menschen, die Macht suchen, sollten sie nicht bekommen
Von John C. Maxwell stammt ein Zitat, das oft fälschlicherweise Platon zugeschrieben wird.
„In most cases, those who want power probably shouldn't have it, those who enjoy it probably do so for the wrong reasons, and those who want most to hold on to it don't understand that it's only temporary.”
Ist es also vielleicht einfach ein Selektionsproblem?
In der freien Wirtschaft kann man, wenn man nicht korrupt ist, deutlich mehr Geld verdienen, als als Bürokrat. Ist es also vielleicht einfach so, dass alle kompetenten Menschen in die Wirtschaft gehen, und nur die, die in auf dem freien Markt nicht erfolgreich sein könnten, Bürokraten werden?
Und mehr noch, fördert nicht der Berufsstand Politiker vorsichtiges und konservatives Verhalten? Welcher Bürokrat ist schon jemals dafür entlassen worden, dass er zu wenig riskiert hätte?
Sind Politiker also vielleicht dumm und böse, aus dem selben Grund, aus dem Soldaten in der Regel sportlich und Wissenschaftler intelligent sind?
Kapitel 4: Das Leben ist kein Videospiel
Es gibt viele Definitionen vom Begriff „Nationalist“. Eine, die mir immer sehr gefallen hat, ist die Folgende:
„Ein Nationalist ist der, der die langfristigen Interessen seiner Nation noch vor die eigenen stellt“
Denn genau aus dieser Perspektive sprechen wir hier, und in unserem Lager allgemein, über Probleme wie die Finanzierbarkeit der Rente. Als sei es ein Videospiel, eine Partie Demokratie 3, und als wäre unser Ziel, am Ende die Lage der Nation zu optimieren.
Aber dabei vergessen wir, dass wir eben nicht von oben herab auf die Politik gucken, als unbeteiligter „Gott“, sondern selbst Teil dieses „Spiels“ sind. Wir mögen die Interessen des Kollektivs priorisieren, aber das ist nicht die Einstellung, die die meisten Menschen haben. Wenn die Menschen denn ihr Land lieben, dann weil es ihnen physische Sicherheit, Arbeit, materiellen Wohlstand usw. schafft. Sie handeln im Interesse des Landes, weil sie ihre eigenen Interessen verfolgen, nicht aus einer intrinsischen Liebe zum Konstrukt Nation.
Und wenn eine Gruppe besonders wenig Interesse am Fortbestand des Kollektivs hat, dann die, die selber keine Kinder haben. Kinder schaffen automatisch ein Interesse an der Zukunft, und senken die eigene Zeitpräferenz.
Aber Menschen, die selber keine Kinder haben… Denen ist der Untergang des Landes, viele Jahre nachdem sie selber bereits von diesen Entscheidungen profitiert haben, egal. Nach mir die Sintflut ist rational!
Stellen sie sich vor, sie arbeiteten in einer großen Firma, und wissen, dass sie bald gefeuert werden. Kommen sie dann weiterhin pünktlich, machen ihre Arbeit, und achten darauf, nicht zu viel Druckerpapier zu verbrauchen, weil das der Firma schaden könnte?
Wir betrachten in solchen Diskussionen Politik wie ein Videospiel, von oben, von der Meta-Ebene. In echt ist Politik immer der Balanceakt, viele sehr unterschiedliche Teilinteressen zu befriedigen.
Entscheidungen, die gut für ein Lager sind, schaden einem anderen. Der Mittelstand mag sich über Steuerentlastungen freuen, der Harz4 Empfänger tut es weniger. Und das gilt für alle Entscheidungen, nicht nur konstruierte Beispiele wie dieses.
Jedes Mal, wenn Sie Civ5 spielen, und die Zufriedenheit ihrer Stadt in den negativen Bereich sinkt, und sie nichts dagegen tun, weil Sie wissen, dass in 5 Runden die Ausbildung einer neuen Einheit von größerem Interesse für ihre Zivilisation ist, handeln sie illegal, und in einer Weise, wie es ein normaler Politiker nie könnte.
Kapitel 5: Die Zwei-Einkommen Falle
Stellen Sie sich vor, Sie seien Seefahrer, und entdeckten auf ihrem Boot ein paar Ratten als blinden Passagier. Da Sie ziemlich einsam sind, Seemänner sind oft nicht sehr gesprächig, und auf ihrem Schiff befinden sich keine Volleybälle, wir befinden uns in der vorindustriellen Zeit, beschließen sie sich, den Ratten etwas Zwieback zu geben. Sie haben genug Proviant dabei, und die Ratten wirken sehr hungrig. Sie sind ein guter Mensch.
Nun füttern Sie die Ratten, die mittlerweile ganz zahm geworden sind, regelmäßig und freuen sich, wie schnell sie wieder gesünder aussehen. Dann, nach ein paar weiteren Wochen auf See, sehen sie viele niedliche Rattenbabies im Heu. Eine ihrer Lieblingsratten hat Junge bekommen. Sie freuen sich natürlich.
Noch ein paar Wochen vergehen, und alle Ratten sind wieder ausgehungert. Nur, dass es jetzt eben mehr sind. Sie können nicht doppelt so viele Ratten mit Zwieback versorgen, schließlich müssen auch Sie noch essen, und die Fahrt auf dem Meer kann sich über Monate hinziehen.
So eine Situation nennt sich „Malthusische Falle“, benannt nach Thomas Malthus. Dieser hatte auf eine ähnliche Weise dafür argumentiert, dass eine Zunahme der Bevölkerung problematisch sei, weil Sie zu allgemein schlechteren Bedingungen für alle Menschen führen würde.
Heute wissen wir, dass er falsch lag, weil der technologische Fortschritt dafür sorgt, dass unsere Ressourcen nicht wirklich limitiert sind. Wir bewegen uns zwar immer auf ein malthusisches Gleichgewicht zu, aber gleichzeitig steigt die Ressourcen-kapazität, wodurch sich dieses Gleichgewicht mit verschiebt. Anders als auf dem abgeschlossenen Schiff sind unsere Ressourcen nicht begrenzt.
Das ist aber nicht in alles Fällen so. Nehmen sie die Emanzipation der Frau. Ausgerechnet Elisabeth „Pocahontas“ Warren hat eine ähnliche Situation in ihrem Buch „the two-income trap“ sehr schön herausgearbeitet.
Einer der Gründe, aus denen Paare heute kaum noch Kinder haben, ist, dass sie es sich schlicht nicht mehr leisten können. Aber wie kann das sein? 1960 hatten die Leute Kinder, und da hat nur ein Elternteil gearbeitet. Heute arbeiten beide. Sie sollten also doppelt so viel Einkommen haben, und sich damit MEHR, nicht weniger Kinder leisten können. Natürlich überschätze ich den Effekt hier. Frauen arbeiten häufig in schlechter bezahlten Feldern, und durch das Ausfallen in der Schwangerschaft auch häufig in niedrigeren Positionen. Nichtsdestotrotz, würde man naiv eine höhere, nicht geringere Fertilitätsrate erwarten.
In den USA lag das Durchschnittseinkommen einer Familie 1970 inflationsbereinigt bei ca. 40000$. Heute lieft es etwa bei 70000$. Das Einkommen des Vaters hat sich kaum geändert, der Unterschied geht hauptsächlich auf das Einkommen der Mutter zurück.
Gleichzeitig wurden in Amerika im Vergleich zu 1980 (das Buch ist 2004, vor der Finanzkrise, erschienen) doppelt so viele Häuser zwangsversteigert, die Kreditkartenschulden haben sich von 4% des Durchschnittseinkommens auf 12% erhöht, und die meisten Menschen haben nicht mehr 10% des Einkommens auf dem Konto zurückgelegt, sondern sind verschuldet.
Wie kann das sein?
Wenn man auf die Fertilitätsrate in Abhängigkeit des Haushaltseinkommens schaut, fällt aus, dass sowohl die ganz Armen, als auch die Reichen Paare Kinder bekommen. Nur der Mittelstand nicht. Das ganze legt also nahe, dass das Problem kein wirkliches Einkommensproblem, sondern ein Konsumproblem ist.
„Advertising has us chasing cars and clothes, working jobs we hate so we can buy shit we don't need.“ - Tyler Durden
Aber stimmt das wirklich?
„When we analyzed unpublished data by the Bureau of Labor Statistics, we found that the average amount a family of four spends per car is twenty percent less than it was a generation ago. [Families spend $4000 more on automobiles in general, but instead of luxuries they are spending it on] something a bit more prosaic – a second car. Once an unheard-of luxury, a second car has become a necessity. With Mom in the workforce, that second car became the only means for running errands, earning a second income, and getting by in the far-flung suburbs.”
Ähnliche Trends lassen sich auch in den Kosten für Lebensmittel und insb. Restaurantbesuche (um 22% gefallen) und das Wohnen (5.7 → 6.1 Räume im Schnitt) feststellen.
Die Vorstellung, dass amerikanische Familien heute einfach luxuriöser leben, und Urlaub und Autos über Kinder stellen, ist also falsch. Tatsächlich ist der Wunsch, Kinder zu bekommen, über die Generationen ziemlich konstant geblieben. Was also hat sich geändert?
Eltern verdienen jetzt mehr Geld, können also mehr ausgeben. Gleichzeitig gibt es Ressourcen, die begrenzt sind, so wie die Nahrung auf dem Schiff. In diesem Fall, vor allem Häuser und Universitätsplätze.
Gerade in den USA ist es wichtig, die Kinder auf eine gute Schule zu schicken. Und dafür muss man in den korrekten Schuldistrikt ziehen. Bei uns ist das Schulsystem allgemein egalitärer aufgebaut, es gibt zwar weniger Eliteförderung, aber auch weniger wirklich heruntergekommene und nutzlose Schulen, aber auch bei uns ist der Wohnraum in Städten begrenzt.
Wenn also alle Eltern mehr Geld zur Verfügung haben, und damit mehr ausgeben können, die Anzahl der Häuser aber nicht unbegrenzt wachsen kann, dann erhöhen sich die Preise.
Schlimmer noch, dieser Prozess ist, wenn er einmal angefangen hat, nicht mehr aufzuhalten. Wenn einmal ein paar Frauen damit angefangen haben, zu arbeiten, und damit mehr Geld zu verdienen, dann müssen sämtliche anderen Frauen nachziehen, oder sie haben keine Chance mehr, im Wettbewerb um limitierte Güter zu bestehen.
Und wenn Sie und ihre Frau für sich entscheiden, dass ihre Frau zu Hause bleibt (ganz unabhängig von der Frage, ob dies noch nötig ist, schließlich bekommen wir allg. weniger Kinder, und Wasch- und Spülmaschinen haben Hausarbeit als Vollzeitjob obsolet gemacht), dann können Sie diese Entscheidung trotzdem nicht durchsetzen. Eben, weil es nie ihre Wahl war.
Würden Sie zu der Zeit ihrer Eltern leben, ja, da hätten 40000$ ausgereicht, aber heute konkurrieren sie, als jemand, der 40000$ verdient, mit Paaren, die fast das doppelte zur Verfügung haben. Sie können sich also keine Wohnung mehr leisten.
Deswegen sind die Einzigen, die noch viele Kinder haben, die, die nicht um Wohnraum und einen Platz an einer guten Uni konkurrieren (arme, ungebildete Leute, die nicht vorhaben, ihre Kinder auf eine Uni zu schicken), oder sehr wohlhabende Paare, die es sich leisten können, nur von einem Einkommen zu leben.
Aber auch hier greift Malthus wieder. Früher war ein (meist unnötiger) Bachelor Abschluss noch etwas besonderes, und hat ihnen einen guten Arbeitsplatz ermöglicht. Heute hat jeder einen Bachelor. Menschen ohne Bachelorabschluss haben keinen Zugang mehr zu Stellen, zu denen sie früher Zugang gehabt hätten. Und in Zukunft wird es sich auch mit Master und Doktortiteln so verhalten. Eben weil sie mit vielen anderen Menschen um eine begrenzte Ressource (Arbeitsplätze) konkurrieren. Sobald einer einen Doktortitel hat, müssen bald alle einen Doktortitel haben. Sodass sie dann wieder an der Anfangsposition, um Gleichgewicht, sind, nur dass sie viele Jahre ihres Lebens, und, wenn sie Amerikaner sind, mehrere hunderttausend Dollar verschwendet haben.
Kapitel 6: Struktur vs. Wettbewerb
Wir haben bereits besprochen, dass man die Gesellschaft nicht von oben herab, als Einheit, sondern als komplexen Organismus, mit vielen einzelnen, konkurrierenden, Interessensgruppen betrachten sollte.
Demokratie fördert implizit hohe Zeitpräferenz. Wenn Politiker A sagt, er wolle Steuern erhöhen und Schulden begleichen, wohingegen Politiker B sagt, er wolle Renten erhöhen, Infrastruktur ausbauen, und es Geld regnen lassen, als sei der Reichstag ein Stripclub, wer würde da schon Politiker A wählen?
Probleme wie das des demographischen Wandels sind Probleme, die durch hohe Zeitpräferenz ausgelöst werden. Ja, selbst den Politikern waren diese Probleme bewusst. Ja, auch Politiker können ausrechnen, wann die Baby Boomer in die Rente eintreten werden. Und trotzdem ist nichts passiert. Eben weil ein großer Teil der Wählerschaft alt ist (genau das ist ja das Problem), und nicht für die Partei stimmen würde, die eine Reduktion der Rente fordert. Und dies ist in jeder Wahl der Fall, wieder und wieder, bis dann die Katastrophe vor der Tür steht. Für die Wähler, zumindest die Alten, ist es, in jedem Schritt, rational dafür zu stimmen, das Problem zu ignorieren.
Viele Probleme lassen sich nicht durch kleine Veränderungen lösen, auch nicht durch iterative kleine Veränderungen. Es reicht nicht, ein paar Steuern zu senken oder zu erhöhen, etwas mehr Geld in die Schulen zu stecken, oder Müttern nach der Schwangerschaft länger Urlaub zu geben. Die Ursachen für dieses Problem, und viele andere, für die dieses Problem exemplarisch steht, sind strukturell.
Wir befinden uns in einem lokalen Minimum, und gradient descent zu besseren politischen Entscheidungen wird uns nicht retten.
Fast alle Probleme lassen sich auf dieses Bild runterbrechen, eben weil fast alle Probleme am Ende Optimierungsprobleme sind. Wir reden oft vom Gegensatz Regierung - Markt, aber in Wahrheit macht das keinen wirklichen Unterschied. Es gab viele Mischformen in der Vergangenheit, die East India Trading Company war zum Beispiel eine Firma, und kein Staat. Und trotzdem hat es effektiv keinen Unterschied für die beherrschten Menschen selber gegeben. Und sind große Firmen wie Google und Microsoft denn wirklich so viel effizienter als die Regierung? Was ist eine Regierung denn anderes als ein Monopol auf den nationalen Sicherheitsmarkt (Polizei, Militär), Infrastruktur usw.
Nein, große Firmen ähneln viel mehr dem Staat in ihrer Struktur, als kleinen Tante Emma Läden. Der wirkliche Konflikt ist nicht Staat - Markt, sondern Struktur - Wettbewerb.
Es ist wahr, dass Regierungen (und große Firmen) oft verschwenderisch sind. Dieser Leichtsinn hat seine positiven Seiten, alle Hochkultur baut auf Monopolstellungen und der Verschwendung von Profiten auf, und bei vollständiger Konkurrenz gibt es keine Profite, denn der Konkurrent könnte von diesem Geld die Preise senken oder das Produkt verbessern. Opern und Kathedralen bringen in der Regel nur sehr wenig Geld ein.
Andererseits hat es, ich hoffe, sie nehmen hier mein Wort, oder kennen selbst genug eigene Beispiele, natürlich auch seine Schattenseiten. Neulich wurden in der Stadt Essen zum Beispiel für über 51 Millionen Euros Schulklos saniert, und dies über mehrere Jahre! Da freut man sich doch, dass das eigene Steuergeld sinnvoll eingesetzt wird. In einer !kleinen! Privatfirma hätte es das, soviel ist wahr, nicht gegeben.
Um zu dem gradient descent Bild zurückzukommen:
Wenn ich in sehr großen Schritten vorgehe, gehe ich nie den wirklich optimalen Weg den Berg herunter. Andererseits kann ich nur mit solch großen Schritten das globale, nicht nur lokale, Minimum erreichen.
Wettbewerb eignet sich, um Produkte zu optimieren, unnötige Kosten aus Verfahren zu entfernen, den perfekten Preispunkt zu finden. Wettbewerb eignet sich, um den Sprung vom IPhone zum IPhone 14 zu schaffen. In vielen (um genau zu sein 13) kleinen Schritten.
Aber nicht jedes Problem ist durch viele kleine iterative Veränderungen lösbar. Insb. wenn jede einzelne dieser Schritte selber noch profitabel sein muss. Apple hätte kein IPhone 12 mit halb funktionierender Kamera herausbringen können. Jedes Produkt muss, in sich selber, profitabel sein.
Vergleichen Sie dieses Beispiel mit der Mondlandung. Diese war NUR durch Struktur, nicht durch Wettbewerb, möglich. Eben weil ein solches Projekt aus vielen einzelnen Schritten besteht, die aber nicht alle selber für sich profitabel sein können. Ein solches Projekt funktioniert nur als Ganzes, hätte man eine einzelne Abteilung aus dem Projekt entfernt, sie wäre nutzlos gewesen.
Kritiker und Libertäre mögen an dieser Stelle den Bogen zur Biologie ziehen. Haben sich nicht auch da komplexe Strukturen wie etwa das Auge durch die Evolution gebildet? Makroevolution ist Schwachsinn!
Aber die Evolution hat für diese Entwicklung mehrere Millionen Jahre gebraucht, und unsere Augen haben noch immer einen blinden Fleck, der herausgerechnet werden muss. Kameras wurden hingegen, da geplant, nicht iterativ, deutlich schneller und ohne solche Probleme entwickelt ;)
Warum nun aber dieser Exkurs?
Kleine, iterative, Schritte reichen nicht, um ein solches Problem zu lösen. Es bedarf einer komplexen Rentenreform. Das ganze System muss neu aufgebaut werden, und vermutlich müssen sogar tiefere Fragen, die die Ehe im Allgemeinen, die Rolle von Religion, Säkularität und den Schulen, die Rolle die die Sozialsysteme spielen usw. angesprochen werden.
Aber ein Politiker selber hat nur sehr, sehr begrenzte Macht. Selbst der Kanzler befindet sich in einem stetigen Kampf um die Wiederwahl, hat Konkurrenten und Feinde in der Regierung, einzelne Minister und Landespräsidenten vertreten ihre eigene Agenda und eigene Interessen usw.
Wenn wir über solche Reformen diskutieren, versetzen wir uns in eine Position der höchsten Ordnung und Struktur, in die Position eines absoluten Herrschers. Aber das ist nicht die Position, die ein Politiker hat. Politiker könnten solche Änderungen nicht durchführen, selbst wenn sie wollten, weil solche Änderungen komplexe Veränderungen in vielen Bereichen der Gesellschaft erfordern, über die sie nicht die alleinige Kontrolle haben, und mehr noch, nicht jeder iterative Schritt selber „erfolgreich” ist, nur das große Ganze. Die „Profite“ würden sich erst nach mehreren Legislaturperioden sichtbar machen, aber sie müssen die NÄCHSTE Wahl gewinnen. Die nächste Wahl ist immer die wichtigste.
Wenn sie kaputte Handys an ihre Kunden liefern, in dem Versprechen, dass man mit dem IPhone 14 eines Tages telefonieren können wird, und zwar richtig gut, dann kaufen die Leute trotzdem nicht IPhone 1-13.
Kapitel 7: König Fnargl
Strukturelle Probleme wie das Rentenproblem sind nur durch strukturierte Maßnahmen lösbar. Die Konsequenz davon ist also, exekutiven Organen mehr Freiheit zu geben. Parlamentarische Monarchien wie das Kaiserreich sind ein Beispiel für einen Staat, mit einem größeren strukturierten Anteil, mit der Konsequenz, dass die Steuern geringer waren, die Zeitpräferenz schwächer war usw.
Aus der Krautzone:
Gut. Es scheint offensichtlich, dass ein perfekter Diktator besser wäre, als das ewige Gezanke verschiedener Parteien in der Demokratie. Schon bei Platons Fünf Regierungsformen war die Aristokratie die höchste Staatsform, und Demokratie nur die beste der „degenerierten“ Systeme.
Andererseits bezeichnet er Tyrannei, die degenerierte Form der Aristokratie, als schlechteste der degenerierten Systeme. Was, wenn der König böse ist? Was, wenn er nur Paläste bauen und Kuchen essen möchte, und ihm seine Bürger und deren Interessen egal sind?
Hier kommt Moldbugs Metapher von Fnargl ins Spiel:
Fnargl ist ein Alien. Ein Alien, der vor allem eine Sache liebt. Gold, wunderschönes, glitzerndes, Gold. Um an dieses Gold zu kommen, ist er zur Erde gekommen, mit dem Ziel, die Erde für 1000 Jahre, dem sogenannten Tausend-Jahre-Fnarg, zu beherrschen, und mit so viel Gold zu seinem Heimatplaneten zurückzukehren, wie möglich.
Davon abgesehen hat Fnargl keine weiteren Ziele. Für ihn sind Menschen, wie Ameisen für uns. Wir hassen Ameisen nicht, aber wenn sie uns im Weg sind, ist uns ihr Wohlbefinden relativ egal. Die Autobahn wird nicht um den Ameisenhaufen drumherum gebaut. Fnargl ist ein Gewinn-Maximierer.
Die Frage ist also, wie sieht seine Politik aus? Was hat er mit uns, seinen erzwungenermaßen loyalen Subjekten, vor?
Eine offensichtliche Lösung ist, uns alle zu Sklaven zu degradieren, und in die Minen zu schicken. Aber Menschen müssen essen, und das muss jemand herstellen. Und andere Personen müssen die Lebensmittel in die Minen bringen. Und würden die Arbeiter nicht viel effektiver sein, wenn sie statt ihren Händen Schaufeln verwenden könnten? Oder Bagger? Aber um Bagger herzustellen braucht man Metallverarbeitung und …
Und schon ist man wieder in der normalen Ökonomie angelangt. Die beste Strategie für Fnargl, seinen Goldgewinn zu maximieren, ist, die Ökonomie normal weiterlaufen zu lassen, und sie leicht zu besteuern. Fnargls Interessen, obwohl ihm Menschen komplett egal sind, überlappen sich mit den Interessen seiner Subjekte, und er hat keinen rationalen Grund, übermäßig brutal zu sein. Unglückliche Menschen sind schlechte Arbeiter.
Kapitel 8: Ökonomie und Herrschaft
Ich denke, dass Moldbug hier etwas zu optimistisch ist. Was er beschreibt, ist in Wahrheit nur ein Sonderfall, und nicht auf alle Länder verallgemeinerbar. Ob Fnargl’s Interessen sich mit den unsrigen überlappen, hängt von der Struktur der Wirtschaft des Landes zusammen.
In unserer Gesellschaft, die eine hohe Komplexität aufweist, wird der meiste Gewinn nicht durch die Extraktion und den Verkauf von Rohstoffen erzielt, sondern durch Dienstleistungen, die Weiterverarbeitung von Rohstoffen usw.
Fnargl’s Interessen sind unsere Interessen, weil wir alle in die Wirtschaftsordnung eingebunden sind. Man kann das System nicht reduzieren, ohne dass es große Verluste gibt. Glückliche Menschen arbeiten besser, die meisten Berufe erfordern einen gewissen Grad an Bildung usw., also hat Fnargl das Interesse, Schulen zu bauen, Unterhaltung zu schaffen usw.
Aber was, wenn wir nicht in Deutschland, sondern in Saudi Arabien leben würden? Wie wichtig ist hier die Bildung der Bevölkerung für den Wohlstand des Landes? Wie wichtig ist hier die Bevölkerung im Allgemeinen?
Klar, Öl hat nur dann einen Wert, wenn es oberhalb des Bodens ist, nicht innerhalb. Und klar, man muss das Land und seinen Besitz nach Außen hin verteidigen können. Die Armee, und die Arbeiter, die das Öl fördern, haben also eine wichtige Aufgabe, sind Schlüssel zur Macht, und müssen dementsprechend glücklich gehalten werden.
Aber was ist mit dem Rest? Ist der nicht obsolet?
Mehr noch, ist es nicht sogar in Fnargl’s Interesse, den armen Bauern und Arbeitern des Landes gerade NICHT zu helfen? Sie tragen nichts zur Wirtschaft bei, und jede Hilfe würde Kosten verursachen. Nichts, was sie machen könnten, würde so viel einbringen, wie der Handel mit Öl.
Fnargl hat immerhin das Privileg, unsterblich und unverwundbar zu sein, aber wie sieht es mit einem realen Herrscher aus?
Kein Herrscher ist jemals vollständig sicher. Kein Herrscher ist jemals ohne Rivalen. Und Menschen sind, im Vergleich zu Aliens vom Planeten Fnarg, doch sehr zerbrechlich.
Was also passiert, wenn der menschliche Herrscher Mitgefühl empfindet, und versucht, das Leben seiner Untertanen zu verbessern?
Jeder Cent, der für die Untertanen ausgegeben wird, ist ein Cent, der nicht an die eigenen Schlüssel zur Macht gezahlt wird. Ein Cent, den ein Rivale eben diesen Schlüsseln versprechen kann, wenn sie ihm zur Macht verhelfen.
Selbst wenn der König ein gutes Herz hätte, könnte er seinen Leuten also gar nicht helfen, ohne selber die Macht, und damit die Möglichkeit, seinen Leuten zu helfen, zu verlieren.
Und hierbei spielt auch die Struktur der Regierung selber keine Rolle, nur die Struktur der Produktion. Denn auch in einer Demokratie hat das Volk keine Macht. Die Macht liegt nur nicht mehr beim Militär, sondern jenen, die beeinflussen können, wie das Volk denkt, worüber es denkt, und wie es darüber denkt. Also Medien, Universitäten, Schulen, kurz, Moldbugs Kathedrale.
Die Schlüssel zur Macht existieren noch immer, es sind nur andere. In solchen Ländern (verschiedene südamerikanische Staaten mögen hier als Beispiel dienen) werden die Schlüssel indirekt belohnt, durch Korruption, Beamtenstellen, Nepotismus usw.
Der Unterschied zwischen einem Tyrannen und einem Philosophenkönig, ja sogar zwischen einer Oligarchie und Demokratie, ist die Produktionsordnung.
Ich habe beschrieben, unter welchen Bedingungen es zu Korruption und Herrschern, deren Interessen orthogonal oder antiparallel zu denen des Volkes stehen, kommt.
Wir befinden uns nicht in einer solchen Situation. Die Probleme, unter denen unsere Gesellschaft leidet, und die, weil wir sie in unserem jetzigen System auch nicht lösen können, nur noch schlimmer werden, sind nur durch strukturelle Veränderungen lösbar.
System change not demograpic change
Kapitel 9: Schlusswort
Also, Freunde, mehr Autokratie wagen. Am Anfang habe ich die Frage gestellt, warum Politiker so inkompetent sind. Ich hoffe, es ist klar geworden, dass es nicht unbedingt die Schuld der Politiker selbst ist, dass diese so unfähig scheinen. Vielmehr sind es die Randbedingungen des Systems. Es ist leicht, von außen über verschiedenste Lösungen zu philosophieren. Aber Politik ist nicht Civ5…
…Aber vielleicht sollte sie mehr wie ein solches Videospiel werden ;)